Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die jüngsten Ereignisse in Afghanistan vom Abzug der US-Streitkräfte bis zum rasant schnellen Wiedererstarken der Taliban haben uns alle bis ins Mark erschüttert. Der Schock über den Triumph der Islamisten sitzt tief. Wir beobachten sorgenvoll die weiteren Entwicklungen in diesem zerrütteten Land.
Wir wissen, dass für die Rettungsaktionen für die gefährdeten Menschen vor Ort nur wenig Zeit blieb, bis die Streitkräfte abgezogen waren und die chaotische und gefährliche Lage Evakuierungen deutlich erschwerte.
Wir wissen auch, dass die Hilfsbereitschaft hier bei uns in Deutschland allen Unkenrufen zum Trotz sehr groß ist. Die Landesregierung hat alleine für Nordrhein-Westfalen die Aufnahme von 1.800 Menschen, darunter 1.000 Frauen, versprochen. Ich hoffe, Sie setzen dieses Versprechen schnellstmöglich in die Tat um.
Andere Landesregierungen haben ebenfalls ihre Hilfsbereitschaft signalisiert. Hinzukommen viele Kommunen, sogenannte Sichere Häfen, die zusätzlich bedrohte Menschen aufnehmen möchten. Diese Zusagen machen Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit für die Betroffenen.
Die Frage lautet jetzt, wie man die vielen Menschen, die noch vor Ort sind und die wegen ihrer Zusammenarbeit mit deutschen Organisationen gefährdet sind, dort herausbekommt. Wir haben für diese Menschen nämlich eine besondere Verantwortung. Es gilt, sie schnellstmöglich in Sicherheit zu bringen. Zu diesem Zweck schlägt in Afghanistan jetzt die Stunde der Diplomatie. Am vergangenen Wochenende erklärte die Kanzlerin, sie wolle über die Ausreise weiterer Ortskräfte mit den Taliban verhandeln.
Insbesondere vor dem Hintergrund der hungernden und flüchtenden Bevölkerung und dem bevorstehenden Winter ist nun auch schnelle humanitäre Hilfe unabdingbar, und die internationalen Hilfsorganisationen sind schnell in die Lage zu versetzen, die Menschen in Afghanistan zu unterstützen.
Die europäischen Außenminister haben sich bereits auf Bedingungen verständigt, unter denen sie bereit wären, Afghanistan auch in Zukunft zu unterstützen. Im Vordergrund der Voraussetzungen stehen dabei die Abwehr von Terrorismus, der Einsatz humanitärer Hilfen und vor allem die Einhaltung von Menschenrechten insbesondere für Frauen und Mädchen.
Auch für uns haben der Schutz der Ortskräfte, der Frauen und Mädchen und der engagierten Menschenrechtler eine große Bedeutung. Wir unterstützen die Bestrebungen, den afghanischen Ortskräften und ihren Familien sowie gefährdeten Menschenrechtsaktivistinnen oder Journalistinnen einen Weg aus dem Land zu eröffnen und ihnen eine sichere Zukunft zu bieten.
Auch für uns ist klar, dass niemand in ein Land abgeschoben werden darf, in dem Gefahr für Leben und Leib droht. Niemand darf in Lebensgefahr geraten. Auch wir achten die unveräußerlichen und universellen Menschenrechte.
An vielen Punkten des hier vorliegenden Antrags der Grünen sind wir im Prinzip auf derselben Linie. Wir könnten diese Punkte theoretisch unterschreiben. Sicher nicht an allen Stellen wären wir zu 100 % d’accord, aber das könnte man im Zweifelsfall besprechen.
Es gibt allerdings eine Stelle, an der wir vehement widersprechen müssen. Direkt am Anfang wird unterstellt, die Bedrohung der Ortskräfte und der gesellschaftlich Engagierten in Afghanistan durch die Taliban sei eine Folge des innerpolitischen Kalküls der Bundesregierung. Dieser Behauptung kann und will ich niemals zustimmen. Glaubt jemand hier im Saal ernsthaft, dass die dramatische Situation in Afghanistan von der deutschen Regierung kaltblütig mit politischem Kalkül in Kauf genommen worden ist oder gar herbeigeführt wurde?
Diese Behauptung ist derart infam, dass ich sie nur mit extrem fehlgeleitetem Wahlkampfgetöse der Grünen erklären kann.
Diesem Antrag, so sinnvoll er an vielen Stellen ist, können wir aufgrund dieser Unterstellung nicht zustimmen. Deshalb enthalten wir uns. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.